Braucht Deutschland endlich ein Einwanderungsgesetz? Nach der Verabschiedung des Entwurfs zum neuen Integrationsgesetz ist die Diskussion um ein Einwanderungsgesetz wieder neu entbrannt. Ausländer rein! lautete die These gestern Abend auch im ARD-Talk.
Über die Notwendigkeit gesteuerter Zuwanderung diskutierte Sandra Maischberger mit Experten und Politikern. Volker Beck, Grünen-Bundestagsabgeordneter, sieht vor allem in der Bürokratie eine große Hürde und plädiert für ein flexibles Einwanderungsgesetz, um für künftige Einwanderergenerationen attraktiv sein zu können. „Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz, das an den vorhandenen Stellschrauben die Bürokratie rausnimmt. Unser Zuwanderungsrecht bei Arbeitsmigranten funktioniert für große Unternehmen mit flexiblen Personalabteilungen. Ansonsten ist es weder für die Leute, die herkommen wollen, noch für Arbeitgeber im mittelständischen Bereich, praktikabel.“
Märchen oder Realität – Fachkräftemangel bleibt Thema
Deutlich restriktiver möchte AFD-Vorstand Jörg Meuthen Arbeitsmigration regulieren. Vorbild für ihn wäre ein Punktesystem wie in Kanada. „Qualifizierte Migranten mit hoher Integrationsbereitschaft sind willkommen.“ Der Fachkräftemangel sei ein „Märchen“, betonte der Wirtschaftswissenschaftler. Und: Es gelte, vorhandene Potentiale im eigenen Land zu nutzen und vor allem junge Menschen in Arbeit zu bringen.
Mittlerweile melden sich aus den Reihen der Unionspolitiker Stimmen, die Migranten als unverzichtbaren Beitrag zur Sicherung des Arbeitsmarktes sehen. „Wir haben die geringste Jugendarbeitslosigkeit in der EU. Aber selbst wenn wir jeden Arbeitslosen in Deutschland in Arbeit hätten: Unsere Gesellschaft wird trotzdem älter, die Geburtenzahlen bleiben niedrig und Fachkräfte fehlen weiterhin. Deshalb brauchen wir qualifizierte Zuwanderung“, sagte Rita Süssmuth kürzlich in einem Interview der Wirtschaftswoche. Ein umfassendes Einwanderungsgesetz sei überfällig. „Wir brauchen endlich ein Gesetz, das die Themen Aufenthalt, Wohnen, Bildung, Arbeitsmarkt, Staatsangehörigkeit und Familiennachzug zusammenführt. Einwanderung muss für jedermann klar und verständlich formuliert und nachvollziehbar sein – für die einheimische Bevölkerung und für diejenigen, die zu uns kommen wollen.“
Mehr Jobs, mehr Sprachkurse, härtere Sanktionen – Gesetzesentwurf ist umstritten
Auch FDP-Chef Christian Lindner sieht im Gesetzesentwurf eine verpasste Chance. „Dass sich Union und SPD auf ein Integrationsgesetz beschränken ist ein großer Fehler.“ Mehr Jobs, mehr Sprachkurse, härtere Sanktionen – das sind die Eckpunkte des neuen Integrationsgesetzes. Von einem historischen Durchbruch könne dabei keine Rede sein, so Lindner. Auch er fordert angesichts des demografischen Wandels ein Einwanderungsgesetz und gesteuerte Zuwanderung anhand des Fachkräftebedarfs. Die Bundesregierung brauche Sieben-Meilen-Stiefel, um ein „echtes Einwanderungsgesetz auf den Weg zu bringen“, skandiert seine Parteikollegin, Generalsekretärin Nicola Beer.
Kritiker warnen außerdem davor, dass Regulierungen, Strafen und Auflagen eher zu einer Desintegration führen könnten. Ein weiterer Punkt: Weil Plätze in Integrationskursen fehlten, hätten viele Flüchtlinge gar keine Möglichkeit entsprechende Kurse zu besuchen. „In einem Land, wo es bislang nicht möglich ist, hinreichend Integrations- und Sprachkurse anzubieten, diejenigen mit Sanktionen zu bedrohen, die eventuell solche Kurse gar nicht in Anspruch nehmen – das ist einfach das falsche Signal“ warnt Rolf Rosenstock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbands.
Jung, gut ausgebildet und hoch motiviert
Vor allem die vergangenen Monate haben gezeigt, dass die Übergänge zwischen Flüchtlingen und Migranten fließend sein können. Die meisten Flüchtlinge seien zudem jung, gut ausgebildet und hoch motiviert, erklärte Daimler-Chef Dieter Zetsche jüngst der „Bild am Sonntag“. „Genau solche Leute suchen wir doch. Sie können uns – ähnlich wie vor Jahrzehnten die Gastarbeiter – helfen, unseren Wohlstand zu erhalten beziehungsweise zu vermehren.“
Einwanderungsgesetz ist überfällig
Der neue Gesetzesentwurf ist sicherlich ein richtiges Signal. Er stößt die politische Debatte über unsere gesellschaftliche Identität an. Die Devise fordern und fördern, die mit der Agenda 2010 Einzug in die Politik hielt, gilt nun also auch für Flüchtlinge. Dagegen ist nichts einzuwenden, doch die geplanten Maßnahmen können über eines nicht hinwegtäuschen: Sie sind kein Ersatz für ein längst überfälliges Einwanderungsgesetz.
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