Der Fachkräftemangel im MINT-Bereich hat ein neues Rekordhoch erreicht. Ohne die steigende Zahl der ausländischen Beschäftigten wäre er noch wesentlich höher. Das geht aus dem aktuellen Herbst-MINT-Report hervor. Zwar deklarieren Politik und Wirtschaftsverbände zunehmend stark, Deutschland sei auf die Zuwanderung von Fachkräften angewiesen, doch tun sich deutsche Unternehmen trotz Fachkräftemangel mit dem Auslands-Recruiting noch schwer – nicht zuletzt aufgrund der Befürchtung, die Rekrutierung und Integration bedeute zu viel Aufwand.
Die steigenden Beschäftigungszahlen ausländischer MINT-Fachkräfte in Deutschland zeigen jedoch: Die Gewinnung und Integration ausländischer Fachkräfte ist nicht nur dringend notwendig für deutsche Unternehmen, sondern auch möglich. Wir haben mit Prof. Dr. Axel Plünnecke, Leiter des Kompetenzfelds Bildung, Zuwanderung und Innovation am Institut der deutschen Wirtschaft Köln und einer der Autoren des Berichts, gesprochen und gefragt, wodurch das Beschäftigungswachstum ausländischer Arbeitnehmer im MINT-Bereich begünstigt wird.
Ergebnisse des Herbst-MINT-Reports 2017:
Fast 500.000 Stellen im technischen Bereich waren Ende September 2017 unbesetzt. Das sind so viele wie noch nie seit Beginn der IW-Aufzeichnungen 2011.
Berücksichtigt man die Zahl arbeitslos gemeldeter MINT-Fachkräfte in Deutschland und auch den qualifikatorischen Mismatch*, resultiert eine Arbeitskräftelücke in Höhe von 290.900 Personen. Sie liegt damit um 42,9 Prozent höher als noch im Vorjahr. Eine positive Entwicklung zeigt sich bei der Beschäftigung ausländischer Fachkräfte, deren Zahl bedeutend gestiegen ist: Ohne sie würde der Fachkräftemangel noch stärker Wirkung zeigen. Die Lücke würde heute um rund 118.100 höher ausfallen und damit einen Wert von rund 409.000 erreichen. Im ersten Quartal 2017 waren gut 7.700 Inder in akademischen MINT-Berufen sozialversicherungspflichtig beschäftigt – seit dem 31.12.2012 ist die Anzahl der Inder in akademischen MINT-Berufen von 3.750 um rund 106 Prozent gestiegen. Zudem waren gut 6.900 Italiener, gut 6.700 Franzosen, gut 6.200 Spanier und knapp 5.800 Chinesen in akademischen MINT-Berufen beschäftigt.
Employland: Herr Plünnecke, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, unsere Fragen zu beantworten. Es ist erfreulich, dass die Zahl der ausländischen Beschäftigten im MINT-Bereich steigt. Doch: Woher kommt es? Klar, das Stichwort lautet Fachkräftemangel – doch auch trotz Fachkräftemangel zeigen sich deutsche Unternehmen generell verhalten, wenn es ums Auslands-Recruiting geht. Ein häufig angegebener Grund: Mangelnde Deutschkenntnisse seien das Problem. Tickt der MINT-Bereich anders? Ist er so flexibel, dass er Fachkräfte aus dem Ausland auch trotz mangelnder oder keiner Deutschkenntnisse einfach integrieren kann?
Naturwissenschaftliche Gesetze sind weltweit gleich, während Gesetze in den Bereichen Recht oder andere Regelungen in bestimmten Berufen regional unterschiedlich sind
Prof. Dr. Axel Plünnecke: Deutschkenntnisse sind auch in den MINT-Berufen wichtig. Jedoch fällt es dort oft leichter als in kaufmännischen Berufen, in den Beruf mit weniger guten Kenntnissen einzusteigen und diese im Berufsleben zu erwerben. Dazu sind naturwissenschaftliche Gesetze weltweit gleich, während Gesetze in den Bereichen Recht oder andere Regelungen in bestimmten Berufen regional unterschiedlich sind.
Employland: Was sonst begünstigt die Tatsache, dass Unternehmen im MINT-Bereich zunehmend ausländische Arbeitnehmer beschäftigen?
Prof. Dr. Axel Plünnecke: In den MINT-Bereichen gibt es eine sehr hohe Nachfrage. Unter den international Studierenden entscheiden sich in Deutschland überproportional viele für ein MINT-Studium, da dieses sehr gute Einstiegsmöglichkeiten bietet. Aber auch beim Thema Integration zeigen sich die MINT-Berufe als sehr perspektivenreich. So ist die Beschäftigung von Flüchtlingen in den MINT-Berufen im letzten Jahr dynamischer gestiegen als die Beschäftigung in anderen Berufen oder in Helfertätigkeiten. Dies liegt auch daran, dass gerade Unternehmen in Industrie und Handwerk sich stark in der Ausbildung von Flüchtlingen engagieren und sonst noch mehr Ausbildungsplätze insgesamt unbesetzt blieben.
In den Ingenieurberufen und in der IT ist die Beschäftigung von Ausländern zuletzt besonders dynamisch gestiegen
Employland: Vom MINT-Bereich zu sprechen ist ja sehr weit gefasst – können Sie mir sagen, in welchen MINT-Berufen ausländische Fachkräfte häufig angestellt sind?
Prof. Dr. Axel Plünnecke: In den Ingenieurberufen und in der IT ist die Beschäftigung von Ausländern zuletzt besonders dynamisch gestiegen. In den akademischen MINT-Berufen sind dabei die Beschäftigtenzahlen unter Indern, Chinesen und Spaniern besonders stark gestiegen.
Employland: Haben Sie Daten darüber, wie sich die ausländischen Beschäftigten auf die Unternehmen verteilen? Sind es hauptsächlich internationale Konzerne oder sind sie in kleinen und mittelständischen Unternehmen genauso stark vertreten?
Prof. Dr. Axel Plünnecke: Hier haben wir keine Daten. Wir können eher regional sehen, dass die Beschäftigungszuwächse in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen besonders groß sind.
Employland: Vielen Dank für das Interview!
* Um die Lücke an Arbeitskräften auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu ermitteln, wird die Differenz zwischen der Zahl der offenen MINT-Stellen und die Zahl der arbeitslosen MINT-Fachkräfte errechnet. Dabei muss auch ein qualifikatorischer Mismatch berücksichtigt werden: Als MINT-Stellen zusammengefasste Positionen sind in der Realität breit gefächert. Sowohl ein Biologe als auch ein Elektroingenieur fallen darunter. Ein arbeitsloser Biologe kann jedoch nicht die offene Stelle als Elektroingenieur besetzen. So entsteht ein qualifikatorischer Mismatch.
Auch in unserem Blog: Mal etwas anderes von der Personalerfront! Das Übliche kennen wir ja: Deutsche HR-Abteilungen in Mittelstandsunternehmen zeigen sich in der Regel verhalten, wenn es darum geht, ausländische Arbeitnehmer zu rekrutieren. Das ist ein Problem, denn Deutschland wird in der Zukunft nicht mehr ohne Fachkräfte aus dem Ausland auskommen. Entgegen dem Bangen deutscher Unternehmen kann es durchaus positiv verlaufen, ausländische Arbeitnehmer einzustellen. Das macht unser Employland-Interview mit Michael Fleischmann, Personalleiter bei evopro systems engineering AG, der viel Erfahrung im Auslands-Recruiting hat, deutlich.
Auch interessant:
Der Fachkräftemangel bremst die Innovationsdynamik deutscher Unternehmen, das geht aus dem aktuellen Innovationsreport des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) hervor. Arbeitsmarktexperte Alexander Burstedde vom Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) im Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) gab Employland ein Interview, um die Ergebnisse einzuordnen.
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Ach deshalb ist es unmöglich als Chemiker einen Job in Deutschland zu bekommen….
seit 2011: über 1000 Bewerbung ohne EInstieg ins MINT-Thema trotz guter Promotion (1,3) und
tadellosem Lebenslauf.
Die Engpässe im MINT-Bereich sind zu differenzieren. Engpässe bestehen im akademischen Bereich vor allem im IT-Bereich und bei Ingenieuren. Bei letzteren gibt es in den letzten Monaten eine Verknappung an Bau-Ingenieuren. In den Bereichen Biologie und Chemie liegen hingegen aus Sicht der Arbeitsmarktstatistik keine besonderen Engpässe vor.
In den letzten Jahren zeigt die Arbeitsmarktstatistik vor allem eine Zunahme an offenen Stellen auch bei beruflichen Qualifikationen im MINT-Bereich und dort gleichzeitig einen starken Rückgang an Arbeitslosen.
Zusammenfassend zeigt die Entwicklung eine Zunahme an Engpässe vor allem an beruflichen Qualifikationen (hier scheiden altersbedingt viele aus und nicht genügend Jüngere rücken nach) und im akademischen Bereich in den Fachbereichen IT und ING.