Für Wertschätzung und Wirtschaft! Deutschland braucht Zuwanderer und deren Qualifikationen

Anerkennung qualifikation

„Flüchtlinge werden nicht mehr nur als Defizitträger wahrgenommen, sondern als Menschen mit Qualifikationen, die wir brauchen – eine wichtige Veränderung dank des Anerkennungsgesetzes“ sagt Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen e.V. auf der Fachtagung „Vielfalt – unsere Zukunft. Erfolgreiche Integration durch Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse“ des IQ-Netzwerks Niedersachsen am vergangenen Donnerstag. Mit Webers Worten fällt ein Schlüsselsatz, der zentrale Aspekte innerhalb der Diskussion um die Anerkennung von Auslandsqualifikationen umfasst:

Es geht um mehr als ein formales Prozedere. Es geht um den Menschen, der seine Qualifikation in den deutschen Arbeitsmarkt einbringt, um Integration. Und damit geht es um zweierlei: Mit dem Blickwinkel auf den Menschen im Mittelpunkt geht es um die Wertschätzung, die ihm gesellschaftlich widerfährt. Aus der anderen Perspektive betrachtet geht es um einen wichtigen Wirtschaftsvorteil Deutschlands, das vor der großen Herausforderung steht, dem wachsenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
„Ich wünsche mir, dass viele Menschen erkennen, was für eine große Chance die Zuwanderung für uns ist, die wir nicht versemmeln dürfen,“ sagt Cornelia Rundt, niedersächsische Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung.

Rund 270.000 Pflege- und Gesundheitsfachkräfte fehlen bis 2035

Die Bundesregierung hat das längst erkannt: In den vergangenen fünf Jahren hat sie kontinuierlich gesetzliche Neuerungen vorgenommen, sowohl um die Arbeitsmigration zu erleichtern als auch um die Qualifikationen der bereits im Inland lebenden Migranten für den Arbeitsmarkt verwertbar zu machen. Die jüngsten Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung belegen die Notwendigkeit: Aufgrund des demografischen Wandels schrumpft die Bevölkerung Deutschlands erheblich und damit auch die potenzielle Arbeitsbevölkerung – und das selbst bei Berechnungsgrundlage einer hohen Zuwanderung. Das Ergebnis: Eine Nettozuwanderung von 400.000 Personen ist jährlich notwendig, um das Arbeitskräfteangebot bis 2060 konstant zu halten.
Besonders stark betroffen vom Fachkräftemangel ist unter anderem die Gesundheits- und Pflegebranche. Erst kürzlich ergab eine Analyse des Bundesinstituts für Berufsbildung: Setzen sich die derzeitigen Trends am Arbeitsmarkt fort, kommt es in Zukunft zu einem flächendeckenden Engpass in den Pflege- und Gesundheitsberufen. Rund 270.000 Pflege- und Gesundheitsfachkräfte werden im Jahr 2035 fehlen. Hintergrund ist die wachsende Zahl älterer Menschen in Deutschland. Ein steigender Bedarf an Gesundheits- und Pflegedienstleistungen erfordert entsprechend mehr qualifiziertes Personal.

„22.000 Anträge wurden bis 2015 im Bereich der Gesundheits- und Pflegeberufe gestellt“

Hier seien die positiven Erfahrungen, die Arbeitgeber mit dem Anerkennungsverfahren machten, besonders wichtig, sagt Mareike Wulf, Mitglied der Geschäftsführung der Unternehmerverbände Niedersachsen e.V.
Das Anerkennungsgesetz zeigt sich als ein wichtiges Instrument der Fachkräftesicherung: „„22.000 Anträge wurden im Jahr 2015 gestellt, davon zwei Drittel im Bereich der Gesundheits- und Pflegeberufe. Insgesamt wurden 13.000 als vollständig gleichwertig anerkannt““, sagt Dr. Niels Spilker, Referent des DGB-Bezirks Niedersachsen-Bremen-Sachsen-Anhalt. Hinzu kämen die teilweisen Anerkennungen: mithilfe von anschließenden Qualifizierungsmaßnahmen können die Antragsteller die volle Anerkennung erhalten.

Anerkennungs Berufsabschluss Zuwanderer
Jürgen Gams (Geschäftsführer der Handwerkskammer Hildesheim-Südniedersachsen), Kai Weber (Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen e.V.), Dr. Niels Spilker (Referent des DGB-Bezirks Niedersachsen-Bremen-Sachsen-Anhalt), Mareike Wulf (Mitglied der Geschäftsführung der Unternehmerverbände Niedersachsen e.V.), Vanessa Ahuja (Unterabteilungsleiterin „Arbeitsmarktpolitik und Arbeitslosenversicherung“ im Bundesministerium für Arbeit und Soziales), (v.l. hinten)Foto: IQ Netzwerk Niedersachsen/RKW Nord GmbH

Flüchtlinge im Handwerk: „Die Antwort liegt auf dem Platz“

Auch im Handwerksbereich werden Fachkräfte dringend gesucht. Dass das Handwerk in den Anerkennungszahlen dennoch unterrepräsentiert sei, liege daran, dass es sich hier um nicht-reglementierte Berufe handelt, in denen – anders als im Gesundheitsbereich – informelle Kompetenzen eingesetzt werden können, sagt Jürgen Garms, Geschäftsführer der Handwerkskammer Hildesheim-Südniedersachsen. So gibt es Arbeitgeber, die ihre ausländischen Mitarbeiter auch ohne Anerkennungsbescheid einstellten. „Ich sag es mal fußballersich: Die Antwort liegt auf dem Platz.“ Während der Praxis ließe sich ziemlich schnell erkennen, was der neue Mitarbeiter könne. So sind Migranten – auch ohne Berufsanerkennung – wichtig für die Personalsicherung in den Betrieben.

Vorsicht vor Biliglohnsektor

Gut ausgebildete Handwerker seien leicht vermittelbar und begehrt, sagt Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen e.V. „Sie sind qualifiziert, aber günstig“: Wegen fehlender Dokumente würde die Bezahlung herabgesetzt.
Und auch Rundt warnt vor den Niedriglöhnen, die letztendlich dem deutschen Arbeitsmarkt schaden würden. Um so wichtiger sei die Anerkennung des Berufsabschlüsses, um einem Billiglohnsektor entgegenzuwirken.
Garms sieht keine Indikatoren für eine schlechtere Bezahlung bei gleicher Leistung von Migranten. Außerdem habe das Handwerk großes Interesse, sie zu Fachkräften auszubilden. „Dennoch haben wir unterschätzt, wie lange es dauert, die Flüchtlinge zu integrieren – bis sie eine Ausbildung machen oder als Fachkraft arbeiten können.“ Auch Wulf stimmt zu: Die Motivation der Arbeitgeber sei groß gewesen. „Dann kam die Konfrontation mit der Realität.“ Mit den Sprachkenntnissen als große Hürde stellte sich Ernüchterung ein.

Bund investiert in berufsbezogene Sprachförderung

„Sprache ist ein zentraler Schlüssel zur Integration“, sagt Vanessa Ahuja, Unterabteilungsleiterin für Arbeitsmarktpolitik und Arbeitslosenversicherung im Bundesministerium für Arbeit und Soziales: „Mit der erhöhten Zahl der Schutzsuchenden war klar: Wir müssen in Sprache investieren.“
Das wurde mit der „Deutschsprachförderverordnung“, die am 1. Juli 2016 in Kraft trat (§45a AufenthG) umgesetzt.
Mit dieser wurde die Sprachförderung des Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge ausgeweitet und die berufsbezogene Deutschsprachförderung zu einem Regelinstrument der Sprachförderung. Für deren Kosten kommt der Bund auf. Die berufsbezogene Sprachförderung schließt an die Integrationskurse an (A1/A2/B1) und tritt an die Stelle der berufsbezogenen Sprachkurse, die bisher aus ESF-Mitteln finanziert wurden, aber Ende 2017 auslaufen. Während Migranten in den Integrationskursen die deutsche Alltagssprache lernen, werden sie in den berufsbezogenen Sprach- und Weiterqualifizierungsmodulen auf den Arbeitsmarkt vorbereitet. Zielgruppe sind Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund, die Empfänger von Leistungen nach SGB II (Hartz IV) oder SGB III (Arbeitslosengeld) sind – sowohl Arbeitsuchende als auch Beschäftigte. Vanessa Ahuja:
„410 Millionen Euro werden für die berufsbezogene Sprachförderung zur Verfügung gestellt. Wir haben also eine Menge vor.“

Das Förderprogramm „Integration durch Qualifizierung“ zielt auf die nachhaltige Verbesserung der Arbeitsmarktintegration von Erwachsenen mit Migrationshintergrund ab. Das Programm wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) und des Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert. Partner in der Umsetzung sind das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Bundesagentur für Arbeit (BA).

Auch in unserem Blog: Wem die finanziellen Mittel für die Anerkennung seiner ausländischen Qualifikation fehlen oder wer unterhalb dieser tätig ist, der kann seit dem ersten Dezember einen Zuschuss für die entstehenden Kosten eines Anerkennungsverfahrens beantragen. Bei dem neuen Angebot vom Bundesbildungsministerium handelt es sich um ein dreijähriges Projekt des Bundesbildungsministerium, dessen Ziel es ist, eine deutschlandweite Förderung von Anerkennungs-Kosten ergänzend zu bereits existierenden Finanzierungsmöglichkeiten zu testen. Lesen Sie hier, wie Sie den Zuschuss beantragen können, was gefördert wird und welche Voraussetzungen Sie erfüllen müssen. Auch interessant: Bilanz für das Jahr 2016: Seit zwei Jahren leistet das Projekt „Recognition Now and Be Connected“ wertvolle Arbeit, um die Möglichkeit der Anerkennung der Qualifikation unter der afrikanischen Community in Hamburg bekannt zu machen. Das Besondere an dem Projekt ist, dass Migranten selber es umsetzen. Zum Ende des Jahres 2016 präsentieren Projektleiter und Mitarbeiter ihre Erfolge und stellen ihre Willkommens- und Anerkennungslotsen vor, die die Community auf persönlichem Wege dort erreichen, wo formale Strukturen oft keinen Einzug finden.

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