Wenn Deutsche sich im internationalen Geschäftsleben ganz „normal“ verhalten, möchten sie, dass die Kooperation mit anderen „gut“ läuft: Deutsche Profis konzentrieren sich auf die Sachebene. Sie organisieren und planen, halten sich an Vereinbarungen, machen verbindliche Zeitpläne, lassen sich persönlich nicht stark verwickeln, äußern ihre Meinung und handeln selbstverantwortlich. Oder? – Dabei erweisen sich genau diese Tugenden, die weltweit an uns auffallen, oft als mentale Fettnäpfe. Ein Gastbeitrag von Dr. Sylvia Schroll-Machl, interkulturelle Trainerin und Autorin.
Verbreiteter Irrtum: sachlich bleiben
Sachorientierung: Die Sache ist uns Deutschen der Dreh- und Angelpunkt bei geschäftlichen Begegnungen, sie bestimmt auch den Kommunikationsstil. Die Beziehungsebene (persönliches Kennenlernen, häufige Besuche, Smalltalk) dagegen vernachlässigen wir oft und denken, die Sachebene sollte bei Geschäftskontakten genügen. Der häufigste deutsche Irrtum! Denn wir wirken zwar kompetent, aber nur am Geschäft interessiert, vernunftbetont, aber gefühllos, unlebendig und zielorientiert bis zur Arroganz, sowie ziemlich sparsam bis mitunter geizig.
Nicht sehr vertrauensvoll: Verträge und Vorschriften
Wertschätzung von Strukturen und Regeln: Deutsche Geschäftsleute lieben Kontrakte und schriftliche Vereinbarungen aller Art, befolgen eine Menge an Regeln, Vorschriften und Prozessen, erwarten auch von anderen ihre strikte Einhaltung. Erlebt werden wir dabei als organisiert, systematisch, regelungssüchtig, bürokratisch, aber auch als unflexibel und ohne Vertrauen in die Geschäftspartner.
Regeltreue kann kleinlich sein
Regelorientiertes, internalisiertes Verantwortungsbewusstsein: Wir Deutsche sind verlässlich. Die Regeltreue kippt jedoch in der Perspektive anderer oft in Regelsturheit. Zudem lässt sie uns selbst vor einer rigiden Zurechtweisung anderer bei Regelverletzungen nicht zurückschrecken. Wir erscheinen nicht nur diszipliniert, berechenbar, umweltbewusst, sondern auch präzise, kleinlich, gründlich, rechthaberisch, autoritär, langweilig.
Termine verhindern Spontanität
Zeitplanung: Wir lieben Pläne, glauben an ihren Nutzen, vereinbaren für alles Termine. Man erlebt uns als immer in Eile, verplant (auch privat), ohne Spontanität. Das wirkt oft unhöflich und andere abkanzelnd.
Verwirrende Trennung: Beruflich oder privat
Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen: Wir Deutsche trennen die verschiedenen Bereiche unseres Lebens strikt. Wir unterscheiden in unserem Verhalten danach, in welcher Sphäre wir mit einer anderen Person zu tun haben (beruflich oder privat) und wie nahe wir einer anderen Person stehen (Geschäftspartner oder Freund). Das lässt uns ziemlich kalt, verschlossen, distanziert, sehr formell, unpersönlich, steif und ohne Emotionen erscheinen. Die zuerkannte Korrektheit und Professionalität untergraben wir selbst, wenn wir arglos unsere Urlaubs- und Freizeitpläne artikulieren.
Nicht immer unmissverständlich: Offene Worte
Direktheit der Kommunikation: Wir Deutsche pflegen einen Kommunikationsstil großer Direktheit und Explizitheit: Wir formulieren das, was uns wichtig ist, mit Worten und benennen die Sachverhalte dabei ungeschminkt und offen. Umgekehrt nehmen wir Zwischentöne, nebenbei Eingeworfenes, Anspielungen oder Non-Verbales nicht wahr und verstehen damit in vielen Fällen die entscheidenden Botschaften nicht. Die Fremdwahrnehmung lautet: Deutsche sind meist ehrlich, häufig undiplomatisch, manchmal zu selbstsicher, oft humorlos, sie lesen nicht zwischen den Zeilen, sie streiten und diskutieren gerne. Wenn wir als Deutsche nicht auf die Zwischentöne reagieren, werden wir von den anderen entweder als begriffsstutzig gesehen oder es wird uns unterstellt, dass wir sie nicht verstehen wollen.
Unabhängigkeit kann irritieren
Individualismus: Persönliche Unabhängigkeit und Selbständigkeit werden von uns hoch bewertet. Dem Wunsch nach engem Kontakt stehen sie nicht nur im Weg, sie sind auch eine Quelle großer Irritation im Hinblick auf Entscheidungskompetenzen der deutschen Partner. Lebt ein Deutscher als Single, wirkt er in einem nicht-westlichen Land häufig nicht vertrauenserweckend, sondern es wird ihm eher unterstellt, er sei sozial nicht kompetent.
Lesen Sie auch das Interview mit Dr. Sylvia Schroll-Machl als Auftakt unserer Serie: „Typisch deutsch – Warum wir wissen sollten, wie wir im Job ticken“. Und bald folgt der dritte Teil unserer Serie: Dr. Sylvia Schroll-Machl gibt Tipps im Umgang mit Deutschen.
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