Rational, akkurat und diszipliniert. Diese Eigenschaften gelten als typisch deutsch. Klingt ein wenig unbeweglich. Sind Deutsche wirklich so konservativ? Eine neue Studie mit dem Titel „Das Vermächtnis“ zeichnet ein anderes Bild: Die Deutschen sind offen für Veränderungen. In puncto Beruf, Gesundheit und Familie brechen die Bundesbürger mit alten Werten.
Zusammenbleiben wegen der Kinder? Arbeiten, um Karriere zu machen? Alles Schnee von gestern? Die Wochenzeitung Die ZEIT, das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und das infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft befragten mehr als 3000 Menschen ausführlich, länger als ein Fußballspiel hätten die Interviews gedauert, so die ZEIT augenzwinkernd. Das Ergebnis: Werte und Normen haben sich verschoben. In dieser Einschätzung seien sich alt und jung erstaunlich einig. „Die Deutschen erfinden sich gerade neu“, resümiert die Wochenzeitung in ihrer aktuellen Ausgabe.
Lust auf Arbeit
Deutsche gehen gerne zur Arbeit. Fast jeder Zweite gibt an, er würde seinen Beruf auch ohne finanzielle Not ausüben. Soll heißen: In der Arbeitswelt scheint das Pflichtgefühl als vorherrschendes Motiv ausgedient zu haben. Der Job ist nicht mehr nur Broterwerb, Arbeit macht auch Spaß und gehört zu einem erfüllten Leben dazu. Noch größer (57 Prozent) ist der Anteil derjenigen, die nachfolgenden Generationen empfehlen, auch dann zu arbeiten, wenn sie das Geld nicht brauchen. Ein klares Votum für die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens? Nein, denn die Zukunft sieht nach mehrheitlicher Meinung nicht ganz so rosig aus. Nur knapp 16 Prozent glauben, dass ihre Kinder und Enkel auch dann arbeiten würden, wenn sie das Geld nicht bräuchten.
Spaß am Leben
Aber nicht nur die Arbeit macht den Deutschen Spaß, sie genießen auch das Leben. Für fast 82 Prozent ist Genuss eine wichtige Lebensqualität. Allerdings glauben nur nahezu 50 Prozent daran, dass nachfolgenden Generationen dieser Spaß am Leben noch möglich sein wird. Dabei ist die Lebensfreude eine gern geteilte Freude. Über 80 Prozent suchen die Gemeinschaft mit anderen und wünschen sich, dass ein starkes Wir-Gefühl auch in Zukunft eine entscheidende Rolle spielt. Allerdings glauben nur 22 Prozent daran, dass dieser Wunsch mit der Lebenswelt von morgen vereinbar ist.
Trend zur Trennung
In der Liebe sind die Deutschen kompromissloser geworden. Selbst die über 65-Jährigen sind der Meinung, dass eine Trennung sinnvoll ist, wenn sich Partner nicht mehr verstehen. Liebe ja, lebenslange Bindung nicht um jeden Preis. Die Vorstellung, eine Partnerschaft aus Rücksicht auf gemeinsame Kinder fortsetzen zu müssen oder wollen, hat offenbar ausgedient. Romantisch sind viele Deutsche dennoch. Für fast 60 Prozent sind Hochzeit und Ehe auch heute noch ein besonderer Ausdruck der Liebe. Allerdings: Nur 50 Prozent würde nachfolgenden Generationen uneingeschränkt zu dieser Beziehungsform raten.
Wunsch nach Gesundheit
Überraschend solidarisch sind die Deutschen beim Thema Gesundheit. Zumindest im Hinblick auf die Zukunft. Die Gemeinschaft solle für alle sorgen, das wünschen sich Einkommensstarke und Geringverdienende gleichermaßen. Auch Wohlhabende wollen kein Gesundheitssystem, das privilegierten einen besonderen Zugang gewährt. Fast drei Viertel wünschen sich ein solidarisches, vom Einkommen unabhängiges Gesundheitsystem. Vor dem Hintergrund der Gesundheitsreformen der vergangenen Jahre ein brisantes Ergebnis, so die Studienverantwortlichen.
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