Flüchtlinge: Riesenchance für deutschen Arbeitsmarkt?

Eine Riesenchance sei die hohe Zahl der Flüchtlinge im Kontext des demografischen Wandels und der fehlenden Fachkräfte auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Das sagte Raimund Becker, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, vor Kurzem in seinem Vortrag bei der Tagung „Potential erkannt – Beruf anerkannt“ in Berlin.

Fachkräftemangel: Der Arbeitsmarkt braucht Zuwanderung

Eine große Herausforderung seien die Menschen auch. Daraus leitet er ab, dass viel zu investieren sei, aber auch viel zu gewinnen, denn Deutschland brauche Zuwanderung. „Bis 2030 entsteht eine große Lücke von fünf bis sechs Millionen Menschen, die arbeiten können. Wandern jährlich 400.000 Menschen nach Deutschland zu, dann reduziert sich die Lücke auf eineinhalb Millionen.“
Drei Formen der Zuwanderung nennt er. Die innereuropäische, die außereuropäische und die humanitäre.

„EU-Migration wird zurückgehen“

Durch die EU-Erweiterung seien viele Menschen aus anderen EU-Ländern nach Deutschland gekommen. „Doch die gestiegene EU-Mobilität wird perspektivisch kleiner“, sagt er. Die wirtschaftliche Situation in zum Beispiel Spanien und Portugal werde besser und das demografische Problem gebe es in allen EU-Ländern. „Sie brauchen ihre Leute selber.“
Eine weitere Form der Zuwanderung sei jene aus Drittstaaten. Deutschland habe ein modernes Zuwanderungsrecht. „Das Problem ist: Es kommt keiner.“ Auch wenn Deutschland sich gezielt um außereuropäische Zuwanderung bemüht, hindere das Berufsbildungssystem und die deutsche Sprache den Zuwachs. „20.000 Menschen sind in den vergangenen drei Jahren mit der Blue Card nach Deutschland gekommen – das ist wenig.“ Deutschland, so sagt Becker, müsse sich besser im Ausland vermarkten.

Flüchtlinge bringen hohe Motivation mit

Vor dem Hintergrund der Schwächen dieser beiden Migrationsformen sieht Becker eine große Chance dessen, was er als eine neue Art der Völkerwanderung bezeichnet: Auf 800.000 werde die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland dieses Jahr voraussichtlich steigen. Es würden mehr, sagt er, derzeit kämen vor allem Männer und sie würden ihre Familien nachholen.
Die Vorteile: „Diese Menschen bringen eine hohe Motivation und Tugenden mit.“ Sie hätten gezeigt, dass sie Hindernisse überwinden können, hätten Nachhaltigkeit bewiesen. „Und sie sind jung. 50 Prozent der zu uns fliehenden Menschen sind unter 25 Jahre alt.“

Viele Flüchtlinge haben keine Qualifikation

Dass sie allein den Fachkräftemangel decken können, das vermutet Becker nicht. Einen Nachteil sieht er in den mangelnden Qualifikationen. 80 Prozent der Flüchtlinge seien nicht formal qualifiziert. Aber: „Auch wenn sie keine formale Qualifikation haben, haben sie dennoch Talente und Fähigkeiten.“ Und in diese gelte es zu investieren. „Dafür brauchen wir Geld, Personal und kluge Prozesse.“
Schwachpunkte sieht er unter anderem darin, dass es unterschiedliche Datenerfassungssysteme der Ausländerbehörde und des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gebe. „So haben wir keine Ahnung, wer die Menschen sind, die kommen – auch nicht über ihre Berufe.“

Kompetenzfeststellung muss optimiert werden

Auch die Möglichkeiten der Kompetenzfeststellung griffen zu kurz. So sei zum Beispiel das Anerkennungsgesetz, das er als einen wichtigen Schritt zwar lobt, doch nicht zugeschnitten auf die Menschen, die dem deutschen Berufsbildungssystem entsprechend keine formale Qualifikation hätten, jedoch Berufserfahrung mitbrächten. Es sei sinnlos, sie zu zwingen, zunächst Deutsch zu lernen, dann eine dreijährige Ausbildung zu machen. „Wir würden sie demotivieren.“

Deutsches Berufsbildungssystem wird zum Nachteil bei Zuwanderung

Der große inländische Vorteil des dualen Ausbildungssystems, würde zum Nachteil, wenn es um Zuwanderung ginge. Becker sagt, es müssten die Kompetenzen aller Kommenden erfasst werden. Dabei müsste im Blick bleiben, dass es darum ginge, was sie gelernt hätten, nicht, wie. „Abschlüsse sind Indikatoren für Kompetenzen und nicht umgekehrt.“ Deshalb seien Verfahren notwendig, um nichtformale Kompetenzen festzustellen.

Wie kann die Integration von Flüchtlingen gelingen?

Der Blick Beckers auf Flüchtlinge nicht (nur) als Belastung für Deutschland, sondern als eine Chance, macht Mut. Dieser sollte Politik und Wirtschaft motivieren, Antworten auf diese Fragen zu finden: Gelingt es Deutschland die Menschen, die aus Krisen- und Kriegsgebieten flohen, beruflich zu integrieren? Vor allem: Wie gelingt es, jene Kompetenzen zu identifizieren und dem Arbeitsmarkt zugänglich zu machen, die die Menschen mitbringen ohne sie entsprechend des deutschen Berufsbildungssystem formal beweisen zu können?

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Darum können Flüchtlinge nicht arbeiten

Weitere Infos:

 

Bundesagentur für Arbeit

Zuwanderung: Arbeitsmarktzugang aus humanitären Gründen

Potentiale nutzen – geflüchtete Menschen beschäftigen

Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge

Zugang zum Arbeitsmarkt für geflüchtete Menschen

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