Wie sieht es bei den Deutschen mit Humor aus? Lachen sie gerne? Kulturwissenschaftler und Lachforscher Rainer Stollmann, ist emeritierter Professor an der Universität Bremen. Habilitiert hat er sich mit einer Arbeit über die „Natur und Kultur des Lachens“. Stollmann im Gespräch über die romantische Ernsthaftigkeit, Lachen als Anarchie und die deutsche Fäkaltradition.
Employland: Die Deutschen haben den Ruf, humorlos zu sein. Ist da was dran?
Rainer Stollmann: Ja und nein.
Ja – insofern die deutsche Hochkultur seit Mitte des 18. Jahrhunderts besonders ernst ist. In der Welt sind die klassische Musik und die Philosophie des deutschsprachigen Raumes berühmt, keine Komödien. Die Deutschen hatten nur die Kultur für ihre nationale Identitätsbildung, nicht die Politik (wie die Franzosen) oder die Wirtschaft (wie die Engländer).
Nein – insofern seit Bestehen der Bundesrepublik, insbesondere seit 1968, einiges aufgeholt wurde. Das deutsche Fernsehen zum Beispiel hat die meisten ausländischen Komiker präsentiert (Tati, Funés, Monty Python, Mr. Bean usw.), in England kennt man den Weltklasse-Komiker Loriot nicht. Das kommt davon, wenn man sich selbst für den Humor-Weltmeister hält und den Deutschen darin gar nichts zutraut.
Employland: Zu Ihrem ‚Ja‘. Was bedeutet es, humorlos zu sein? Finden die Deutschen Dinge weniger witzig? Finden Deutsche weniger Dinge witzig? Lachen die Deutschen im internationalen Vergleich statistisch weniger?
Stollmann: Humor, verstanden als Bereitschaft, an allem das Komische zu entdecken, ist weniger ein national unterschiedliches Phänomen als ein soziales: Lachen geht eigentlich nur von unten nach oben. Lachen degradiert, reißt herunter, duldet keine Autoritäten, ist anarchisch. Schon weil es selbst körperlicher Kontrollverlust ist. Lachen begleitet das Vergehen einer Angst (= Enge). Statistiken darüber gibt es nicht, oder sie sind Unsinn. Dass Kinder mehr lachen als Erwachsene, hängt auch damit zusammen, dass sie mehr an Autorität (nämlich die ganze Erwachsenenwelt) über sich haben, mit der sie zurechtkommen müssen.
Employland: In einem anderen Interview sprachen Sie dennoch einst von nationaler – denn deutscher – Humorlosigkeit und erklärten die Romantik zum Ursprung : wer Sehnsucht und Weltschmerz empfinde, der lache nicht.
Stollmann: So wie die Renaissance etwas Italienisches ist, das zum Beispiel die Spanier nicht kennen, ist die Romantik etwas Deutsches. Sie hat nach der rational-orientierten Aufklärung des 18.Jahrhunderts das Reich der Gefühle entdeckt. Noch heute sind unsere Auffassungen (trotz Sex im TV und im Netz) von Liebe weitgehend romantisch. Die individuelle Suche nach dem oder der einen, die mit Lebensglück gleichgesetzt wird, die Innigkeit, die Innenwendung der Gefühle, das wurde alles im 19.Jahrhundert entwickelt. Wenn man aber über etwas lacht, hat man dafür keine Empathie. Die meisten Romantiker kritisieren das Lachen als gefühllos.
Employland: Was ersetzt bei den Deutschen das Gefühl des Lustigfindens?
Stollmann: In der Hochkultur des 19. Jahrhunderts gar nichts. Zwar gibt es darin auch mehr Humor als man denkt, sogar in Beethovens Musik, aber wenn ein Philosoph wie Hegel seine Große Logik sinngemäß mit dem Gedanken beginnt: Das Sein und das Nichts sind dasselbe, dann hat er genau das, was ein Engländer nur komisch formulieren würde, ernsthaft ausgesprochen. Was die englische Hochkultur in einem komischen Roman behandeln würde, wird von Hegel ganz trocken durchgedacht.
Employland: Und wenn sie lachen, worüber lachen sie dann, die Deutschen?
Stollmann: Die Engländer und Amerikaner stecken in der Tradition des Puritanismus. Wenn sie fluchen, greifen sie dessen Autorität an. Deshalb das häufige „fucking“ und nur selten ein „Ass“ oder „arshole“. In Deutschland ist es umgekehrt, Luther war kein Puritaner, wir finden die Fäkalsphäre lustiger. Man mus „fuck“ eigentlich mit „Scheiße“ übersetzen. Die Fäkaltradition wurzelt im bäuerlichen Mittelalter, Scheiße ist für einen Bauern nicht viel mehr als innere Erde.
Employland: Können Sie den Humor der Deutschen beschreiben?
Stollmann: Der ist inzwischen auch nicht weniger vielfältig als der anderer Völker. Nehmen wir nur einmal die vier bekanntesten Komiker der BRD: Heinz Erhardt, Loriot, Otto, Helge Schneider. Erhardt ist ein Ausbund an Sprachwitz, seine Inhalte sind verblüffend harmlos; Loriot ist der höflichste Komiker der Welt, was man von einem Deutschen nicht erwartet hätte, Otto ein durch und durch antiautoritärer Parodist und Helge Schneider zelebriert die Spontaneität. Loriot und Schneider sind sehr verschiedene Gestalten. Trotzdem haben sie eines gemeinsam: Sie verabscheuen Pointen (während z.B. Mario Barth sie am Fließband produziert).
Employland: Schadenfreude ist ein deutsches Wort, das sich nicht in anderen Sprachen findet. Die Deutschen finden es witzig, wenn jemand Anderem ein Missgeschick widerfährt– und das ist so zentral, dass es eigens eine Bezeichnung dafür gibt. Ist das nicht schräger Humor?
Stollmann: Nein, das ist ein Irrtum, der der Besonderheit der deutschen Sprache geschuldet ist: Sie kann eben, anders als die meisten anderen Sprachen, einfach zwei oder mehr Hauptwörter aneinander fügen. Die andern sind genauso schadenfreudig wie wir, nur gibt es kein Wort, das das so kurz und schlagend ausdrückt. Im Grunde gehört zu jedem Humor ein bisschen Schadenfreude. Denken Sie nur einmal an die frühen Stummfilme, den slapstick, was da für Schaden angerichtet wird! Der normale Lauf der Dinge muss Schaden nehmen, sonst lacht man nicht.
Was meinen Sie, haben die Deutschen keinen Humor?
Können Sie mit Ihren deutschen Kollegen/ Freunden lachen? Wo teilen Sie einen gleichen Humor?
Haben Sie die Erfahrung gemacht, mit Ihrem Humor unverstanden zu sein? Oder sind Sie schon mal in ein Fettnäpfchen getreten?
Was halten Sie von deutschen Komödien und Comedians?
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