Warum funktioniert die hochqualifizierte Zuwanderung nach Deutschland nicht wie erwünscht? Wir haben mit Mark Fallak, Sprecher des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn, darüber gesprochen. Das IZA konzentriert sich auf die Analyse der globalen Arbeitsmarktentwicklungen und arbeitet mit weltweit rund 1.500 renommierten Ökonomen zusammen, darunter zahlreiche Migrationsforscher.
Employland: Herr Fallak, im ersten Halbjahr 2015 wurde an 7.363 Personen mit Hochschulabschluss eine Blaue Karte EU/Deutschland vergeben. Davon sind 2.372 Personen im Jahr 2015 eingereist. Zum Stichtag 31. Oktober 2015 waren insgesamt 25.920 Drittstaatsangehörige im Besitz dieses Aufenthaltstitels.
Das ist nicht viel – sind das die Zahlen, die sich die Politik und Wirtschaft erhofft haben und die den Fachkräftemangel lindern?
Mark Fallak: Die Zahlen bleiben zweifellos hinter den Erwartungen zurück, erst recht in einer Phase, in der der deutsche Arbeitsmarkt so aufnahmefähig ist wie seit langem nicht. Dabei ist der Ansatz, der mit der „Blue Card“ verfolgt wird, völlig richtig: Sie signalisiert den Paradigmenwechsel von der Abschottung zur aktiven Steuerung qualifizierter Zuwanderung. Nur hapert es bislang offenkundig noch an der Vermarktung im Ausland.
Employland: Alles also eine Frage des Marketing?
Mark Fallak: Die Akzeptanz ließe sich sicherlich noch steigern. Doch selbst dann kann dieses Instrument bestenfalls ein Baustein in einer Gesamtstrategie zur Bewältigung des Fachkräftemangels sein. Daneben gilt es, das inländische Erwerbspotenzial durch Qualifizierung und bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zu erschließen, aber auch die Arbeitsmobilität innerhalb der EU zu stärken.
Employland: Nicht nur Akademiker werden in Deutschland gebraucht. Auch der Bedarf an Fachkräften mit Berufsausbildung wächst, vor allem im MINT-Bereich. Um in einem sogenannten Engpassberuf zu arbeiten, können Drittstaatler seit Juli 2013 einen Aufenthaltstitel erhalten. Die Bundesagentur für Arbeit hat bis Oktober 2015 insgesamt 877 Zustimmungen zur Aufnahme einer Beschäftigung in Engpassberufe erteilt. Ist das nicht ein Tropfen auf dem heißen Stein?
Mark Fallak: So ist es. Hier muss man sich zum einen Gedanken machen, ob die Definitionen womöglich zu eng gefasst sind. Zum anderen ist auch hier die Frage, ob die Regelungen im Ausland überhaupt hinreichend bekannt sind. Letztlich aber ist entscheidend, wie attraktiv Deutschland insgesamt für ausländische Fachkräfte ist, denen es ja nicht nur um eine Arbeitsstelle geht.
Employland: Worum geht es noch?
Mark Fallak: Deutschland liegt in internationalen Ranglisten der „lebenswertesten Länder“ meist auf den vorderen Plätzen. Solche Rankings basieren aber in der Regel auf objektiven Kriterien wie Sozial- und Gesundheitssystem oder Durchschnittseinkommen. In der subjektiven Einschätzung kann das stark variieren. Da spielen oft ganz alltägliche Dinge eine Rolle, angefangen vom Klima bis hin zur Lebensart. Ein australischer Kollege hat mir einmal gesagt, er habe die Deutschen immer für „bürokratisch und humorlos“ gehalten. Als er sich dann trotzdem entschied, als Hochqualifizierter hierher zu kommen, hat sich sein Deutschland-Bild schnell gewandelt. Aber das Beispiel zeigt, dass es gewisse Vorbehalte gibt, die sich nicht mit Imagekampagnen von heute auf morgen ausräumen lassen. Auch rechtspopulistische Strömungen und fremdenfeindliche Vorfälle werden im Ausland natürlich wahrgenommen.
Employland: Sehen wir mal das Positive: Deutschland gilt als eines der liberalsten OECD-Länder, was seine Einwanderungsgesetze angeht. Das dürfte doch ein Anreiz für ausländische Fachkräfte sein.
Mark Fallak: Tatsächlich zählen die deutschen Einwanderungsregelungen zu den liberalsten der Welt. Bei den hochqualifizierten Zuwanderern steht Deutschland aber im globalen Wettbewerb, vor allem mit klassischen Zielländern wie Australien, Kanada und den USA. Diese Länder haben einen entscheidenden Vorteil: die englische Sprache. Auch andere Aspekte wie persönliche Netzwerke spielen eine Rolle. Außerdem werben Länder wie Australien viel aktiver und effektiver Hochqualifizierte direkt im Ausland an.
Employland: Was muss Deutschland tun, um mehr Fachkräfte aus Drittstaaten für sich zu gewinnen?
Mark Fallak: Ein transparentes Punktesystem mit klar definierten Kriterien von Sprachkenntnissen über berufliche Qualifikationen bis hin zum Alter würde uns einen großen Schritt nach vorne bringen. Auf diese Weise könnte sich jeder Zuwanderungswillige seine Chancen auf einen Aufenthaltstitel detailliert ausrechnen. Die Zulassung einer begrenzten Zahl qualifizierter Zuwanderer nach transparenten, arbeitsmarktrelevanten Kriterien würde zugleich die Akzeptanz bei der einheimischen Bevölkerung stärken. Unabhängig davon muss sich Deutschland im Ausland noch offensiver als lebenswertes Land präsentieren. Es reicht nicht zu sagen, unsere Wirtschaft braucht Fachkräfte. Die Botschaft muss lauten: Wir suchen Menschen, die in unserem Land leben und unsere Gesellschaft bereichern wollen!
Employland: Unter den Flüchtlingen befinden sich Akademiker, die Deutschland mit eben der Hochqualifizierten-Richtlinie anlocken möchte. Doch die, die im Land sind, die müssten erst wieder in ihr Heimatland reisen, um die Blaue Karte EU über das offizielle Visumsverfahren zu beantragen. Ist das nicht absurd?
Mark Fallak: Hier besteht ganz klar Nachbesserungsbedarf. Es muss möglich sein, dass Flüchtlinge bei entsprechender Qualifikation direkt in ein reguläres Zuwanderungsverfahren wechseln. Auch hier würde ein Punktesystem zur Vereinfachung und zielgerichteten Steuerung beitragen.
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