Wolfgang Nickel fehlt Personal für seinen Hotelbetrieb, also holt er Auszubildende aus Indonesien nach Deutschland. Doch weil er mit dem Lehrlingsmangel kein Einzelfall ist, stehen bald schon Unternehmen aus ganz Deutschland bei ihm Schlange: Inzwischen hat Nickel 68 junge Indonesier für eine Ausbildung an deutsche Betriebe vermittelt. 1600 Vermittlungsanfragen hat er von weiteren Betrieben.
Die Idee war aus der Not heraus gewachsen. „Sonst hätten wir den Laden schließen müssen“, sagt Wolfgang Nickel. Der Laden, das ist der Paschlewwer Ferienhof und Wolfgang Nickel, das ist der Hotelier, dem der Ferienhof in Großpaschleben bei Köthen, Sachsen-Anhalt, gehört. „Unsere Bücher waren voll, doch das Personal, um die Arbeit zu bewältigen, fehlte.“
Die Lösung für sein Problem bot sich ihm in Indonesien. Als Mensch, der bereits seit einem Jahrzehnt regelmäßig das Land bereiste, nicht Strände und Touristenorte aufsuchte, sondern Hinterland und Leute kennenlernen wollte, hatte er das Vertrauen der Menschen vor Ort gewonnen. Er zögerte nicht lang, als er gefragt wurde: „Kannst du unsere Kinder nach Deutschland holen, damit sie dort lernen und arbeiten können?“
1600 Vermittlungsanfragen von deutschen Betrieben
Er begann zu recherchieren, ‚paukte‘ Aufenthaltsrecht. „Es war ein langer Weg“, sagt der 59-jährige Ferienhofbesitzer, der in seinem Büro auf seinem Drehstuhl nach hinten gelehnt sitzt, die Hände über dem Bauch verschränkt, mit Falten auf der Stirn, die ein Herz formen. Der Weg hat sich gelohnt, nicht nur für Wolfgang Nickel.
Neun junge Menschen brachte er vor 3 Jahren nach Deutschland und stellte sie als Auszubildende in seinem Hotelbetrieb ein. Unlängst wollen von seiner Lösung auch andere Unternehmer profitieren. Seit vor mehreren Monaten Medien von seinem Erfolg berichteten, stehen Arbeitgeber auf der Lehrlingssuche bei ihm Schlange: Rund 1600 Anfragen von Unternehmen hat er.
Eine von drei Lehrstellen in Deutschland bleibt unbesetzt
Kein Wunder: Nicht nur der inzwischen von Politik und Wirtschaft deklarierte Fachkräftemangel auch der wachsende Lehrlingsmangel macht deutschen Betrieben große Sorgen. Der Anteil der Unternehmen in Deutschland, die ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen können, hat sich laut der jüngsten Ausbildungsumfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt: Heute bleibt jede dritte Lehrstelle unbesetzt.
„Fast jeder zehnte Ausbildungsbetrieb hat noch nicht einmal eine einzige Bewerbung erhalten“, sagte der stellvertretenden DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks anlässlich der Ergebnisse der Umfrage: „Uns geht der Nachwuchs aus.“
Am stärksten betroffen vom Lehrlingsmangel ist laut der Umfrage das Gastgewerbe. 58 Prozent der befragten Betriebe gaben an, ihre Lehrstellen nicht besetzen zu können. Doch auch betroffen sind unter anderem das Baugewerbe, Verkehr (Transport / Logistik), Handel, Industrie, Gesundheit/ Pflege oder IT.
Die Ergebnisse untermauern, was Nickel postuliert: „Wir brauchen die Lehrlinge aus dem Ausland wirklich dringend.“ Der Bedarf des deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarktes und die Nachfrage in Indonesien passen gut zusammen. Wenn Nickel in Indonesien nach der Motivation fragte, warum der Ausbildungsort ausgerechnet Deutschland sein solle und nicht beispielsweise Singapur, dann sei ihm häufig rückgemeldet worden: „Der deutsche Abschluss ist weltweit so hoch angesehen, da kommt kein Land dieser Erde mit.“
Nickel kümmert sich um alles – von Aufenthaltsrecht bis Ankunft am Arbeitsplatz
Heute kann man den Köthener Hotelier quasi einen innovativen internationalen Headhunter nennen. Für diverse Betriebe in Deutschland sucht er Auszubildende in Indonesien, macht sie mit eigens organisierten Deutschkursen fit und kümmert sich um Flug, Einreise, Aufenthalt in Deutschland und Ankunft am Arbeitsort.
68 indonesische Abiturienten hat er als Auszubildende an ca. 15 verschiedene Betriebe im Gastgewerbe und in der Altenpflege bereits vermittelt. Bald fliegt er sechs junge angehende Industriekaufleute ein und die Vermittlung von 30 Indonesiern im Bereich IT hat er auch schon in die Wege geleitet. Inzwischen fragen Unternehmen aus diversen Bereichen bei ihm an. „Ob Tanzlehrer oder Großgärtnereien, die nach jungen Menschen suchen, die Samen verpacken“, sagt Nickel, „weiß der Geier, was es alles gibt und wo überall die Lehrlinge fehlen.“
Vor Kurzem erhielt er eine Anfrage von einer großen Spedition in Deutschland: 40 Auszubildende als LKW-Fahrer soll er dem Unternehmen vermitteln. „Ich wusste gar nicht, dass es so was gibt, Berufskraftfahrer als dreijährigen Ausbildungsberuf.“ Er willigte ein.
„Sein Ding“ sei der Hotel- und Gastrobereich, das habe er selber von der Pike auf gelernt, deshalb habe er hier auch bisher am meisten Vermittlungen auf den Weg gebracht. Doch kommt eine andere Anfrage rein, dann kümmert Nickel sich; fragt in Indonesien, wer Interesse an einer entsprechenden Ausbildung hätte. Was in kleinem Umfang mit neun indonesischen Lehrlingen für den eigenen Betrieb begann, ist heute ein großes Unterfangen.
Für dieses großes Unterfangen verbringt der Sachsen-Anhaltiner vier Monate eines Jahres Indonesien. Drei indonesische Mitarbeiter hat er dort an drei verschiedenen Orten: auf Java, Sumatra und Bali, die Anfragen von Interessierten in Indonesien bearbeiten, die Vorträge für Herrn Nickel an Universitäten, Kirchen und anderen Institutionen organisieren und seine Reisen über die verschiedenen Inseln des Landes planen.
Abiturienten lernen in Indonesien Deutsch
Wolfgang Nickel und seine Mitarbeiter haben Deutschlehrer angestellt, die in 30-Kopf-großenKlassen Deutsch in angemieteten Räumen der Universität unterrichten. 180 Schüler bereiten sich aktuell auf die Deutschprüfung aber auch auf die Kultur Deutschlands vor, um bald eine Ausbildung hier beginnen zu können. Sie alle sind Abiturienten und waren zuvor bereits durch Deutschunterricht in der Schule mit dem lateinischen Alphabet und ersten deutschen Worten vertraut. Bevor sie nach Deutschland einreisen, müssen sie beim Goethe-Institut mindestens die Prüfung des A2-Levels bestanden haben.
„Hoch motivierte und fleißige Auszubildende mit guten Noten“
Laut Wolfgang Nickel zeigen die bisherigen Erfahrungen Erfolg: Nicht nur Nickel auch alle anderen Arbeitgeber, an die er vermittelt hat, sind mit ihren Lehrlingen sehr zufrieden. Sie zeigen gute Leistungen in der Schule, sind hoch motivierte und fleißige junge Menschen. „Sie kommen nach Hause und setzen sich auf den Hintern und pauken das, was sie heute in der Schule gelernt haben, gemeinsam“, sagt Nickel. „Das hat Vorrang vorm Einkaufsbummel oder Parties. Sie konzentrieren sich alle auf ihren Abschluss.“
Auch der Arbeitgeber hat seinen Beitrag zu leisten. So kommt er zum Beispiel für den Flug der jungen Indonesier auf, den er anschließend Monat für Monat vom Ausbildungsgehalt abzieht.
Außerdem ist der Arbeitgeber unter anderem verpflichtet, zu gewährleisten, dass seine Auszubildenden ihren Weg zur Berufsschule antreten können. Bei Nickel wurde hierfür eigens ein Neun-Sitzer-Bus angeschafft, mit dem die jungen Indonesier gemeinsam den Hin- und Rückweg zur Berufsschule hinter sich bringen. Arbeitgeber, für die das nicht in Frage kommt, müssen die Fahrkarte finanzieren.
Auch um die Unterkunft der Lehrlinge hat sich – vertraglich mit Nickel geregelt – der Arbeitgeber zu kümmern. Daran gebunden ist u.a. gesetzlich die Verpflichtung W-Lan zur Verfügung zu stellen. Auch ist vertraglich mit Nickel geregelt, einen Ansprechpartner oder eine Art Sorgentelefon zu organisieren. Denn für die indonesischen Lehrlinge bedeute der Start in Deutschland die Berührung mit einer völlig neuen und fremden Welt, sagt der Hotelier.
„Wichtig, dass die Lehrlinge sich wohlfühlen“
„Und“, mahnt er außerdem, „es ist sehr wichtig, dafür zu sorgen, dass die jungen Leute sich wohl fühlen. Denn die Unternehmen bräuchten sie. „Sie sind es, die mit dem Rücken an der Wand stehen.“ Er selber scheint da alles richtig zu machen: Der 20-jährige Joshua Gulton aus Jakarta, der bei Nickel in der Lehre ist, sagt, was ihm am meisten fehle, sei seine Familie. Dann strahlt der Auszubildende bei der Frage, was ihm in Deutschland am Besten gefalle: „Das Personal, das Team hier gefällt mir sehr gut und ist ganz lieb. Wir sind so wie eine Familie.“
Auch in unserem Blog: Immer mehr Betriebe in Deutschland müssen sich dem Auslands-Recruiting öffnen. Entgegen dem Bangen Deutscher Unternehmen kann es durchaus positiv verlaufen, ausländische Arbeitnehmer einzustellen. Das macht unser Employland-Interview mit Michael Fleischmann, Personalleiter bei evopro systems engineering AG, der viel Erfahrung im Auslands-Recruiting hat, deutlich.
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Um dem deutschen Fachkräftemangel zu begegnen, müssen sich manche Unternehmen richtig ins Zeug legen. Konstantin Strasser, Geschäftsführer der MEP Werke in München, hat sich ein hauseigenes Rezept gegen die Personalnot geschustert: Um Monteure und Elektriker aus dem Ausland für den deutschen Arbeitsmarkt und sein Unternehmen fit zu machen, hat er Anfang des Jahres ein Ausbildungszentrum aufgebaut, in dem firmeneigene Schulungsleiter die Handwerker aus Kroatien, Griechenland, Polen oder Serbien ausbilden.